in Parchim
Am 9.9.25 war ich zur 3. Gesundheitskonferenz in Parchim eingeladen, um dort über mein Buch zu sprechen. Im Vorgespräch fragte ich, was ich denn über Autismus erzählen soll und wie lange. Die Redezeit wurde auf 30 Minuten festgelegt und sie wünschten sich etwas aus dem Buch, einen kleinen Erfahrungsbericht von mir und wie sich Autisten in Deutschland fühlen.
Eine sportliche Aufgabe all das in 30 Minuten zu bringen 😅. Doch du kennst mich vielleicht schon ein wenig und weißt deswegen, dass ich bereit war eine Lösung zu finden.
Die ersten beiden Aufgaben verband ich, in dem ich unsere Geschichte aus meinem Buch vorlas. Die hast du noch in gelesen? Dann schau mal auf meine Buch-Seite, da findest du eine Leseprobe und das Kapitel „So war es bei uns“ kannst du dort komplett nachlesen.
Anschließend erzählte ich, was man in meinem Buch noch so finden kann und für wen ich es geschrieben habe. Das war einfach und schnell erzählt.
Die letzte Frage: „Wie fühlt sich ein Autist in Deutschland?“ war schon deutlich kniffliger.
Ich möchte dir erzählen, wie ich sie bewältigt habe.
Wie fühlt sich ein Autist in Deutschland?
Als erstes schrieb ich meinem Sohn „wie fühlst du dich als Autist in Deutschland?“ Natürlich erklärte ich ihm noch, warum ich so eine Frage stellte.
Seine Antwort: „Es bedeutet Anpassung. Die Gesellschaft passt sich, wenn dann nur wenig, an Menschen mit Behinderung an. Was bedeutet, dass ich als autistischer Mensch mich an die Gesellschaft anpassen muss, um darin zu existieren.“ (Sein original Text)
Wenn ich ehrlich bin, hat mich diese Antwort erst einmal traurig gestimmt, denn sie fasst kurz und knackig zusammen, wie wenig er sich gesehen fühlt und wie wenig auf seine Bedürfnisse Rücksicht genommen wird. Wir waren dann anschließend lange im Gespräch und später habe ich immer wieder Klientinnen gefragt und ihre Jugendlichen, die in der Zwischenzeit zu mir kamen. Das Bild war sehr eindeutig und erschreckend.
Wir haben 4 Oberbegriffe finden können:
- Gesellschaftliche Wahrnehmung und Vorurteile
Es hat sich herauskristallisiert, dass viele Autisten auf Extremfälle reduziert werden. Vielleicht kennst du den Film „Rain Man“ mit Tom Cruise und Dustin Hofmann. Vielen Autisten wird die Diagnose Autismus immer wieder in Frage gestellt oder gar abgesprochen, weil sie sich nicht so verhalten, wie das Gegenüber es von einem Autisten erwarten würde.
Der gesellschaftliche Druck ist enorm und häufig geht es nicht darum einen guten Rahmen für diesen Menschen zu schaffen, sondern ihn möglichst schnell „normal zu machen“.
Und Autisten wird gerne mangelnde Empathie nachgesagt oder eigentlich drücken sie ihre Empathie nur anders aus.
- Diagnose und Zugang zur Unterstützung
Ich weiß nicht, wie es bei euch war, wir haben 6 (!) Jahre um die Diagnose gekämpft und wir sind kein Einzelfall. Es dauert einfach zu lange, bis sich die Ärzte bereit erklären auch Autismus in Betracht zu ziehen. Und häufig sind die Wartelisten so lang, dass man Jahre wartet, wenn man nicht selbst Geld in die Hand nehmen kann oder möchte.
Hat man dann endlich eine Diagnose wird die benötigte Teilhabe immer wieder sehr lange rausgeschoben, Entscheidungen nicht getroffen oder erst gar nicht bewilligt.
Interessant war ein Gespräch hinterher mit einer sehr netten Damen vom Sozialamt. Sie begrüßte mich mit den Worten „Ich bin die Böse vom Amt!“ So meinte sie es nicht! Doch in unserem Gespräch wurde klar, in welchem Dilemma sie sich befindet. Sie muss entscheiden wie notwendig das jetzt ist. Wir haben lange über die Folgen gesprochen, wenn Hilfen nicht bewilligt werden. Mein Eindruck war, es ist gar nicht so einfach für die Mitarbeiter des Sozial- + und Jugendamtes. Zum einen sind sie angehalten nicht so viel Geld auszugeben, zum anderen haben sie zu wenige Informationen über Autismus und können häufig gar nicht absehen welche Folgen ihr Handeln haben könnte.
Ich glaube, das sind wir Eltern aufgerufen, Aufklärungsarbeit zu leisten und auch immer wieder über die Folgen zu sprechen, die es haben wird, wenn deinem Kind jetzt nicht auf eine bestimmte Art geholfen wird.
- Alltag und Lebensqualität
Unser Alltag ist einfach zu reizintensiv und zu unflexibel. Wir haben starre Regeln und nehmen wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse von neuodivergenten Menschen. Ich glaube, das kann man erst einmal so verallgemeinern. Natürlich stimmt es nicht für jeden Bereich und für alle, doch ich nehme es so war, dass sehr viele sich um die Bedürfnisse von neurodivergenten Menschen (Autisten, AD(H)Slern, Hochsensiblen) wenig bis keine Gedanken gemacht wird.
Unsere unausgesprochenen Regeln sind für die meisten Autisten eine echte Hürde und Small talk unerträglich.
Das führt zu einer ständigen Erschöpfung und dadurch zu psychischen Begleiterkrankungen wie Depression, Angststörung und ähnlichem. Das ist eine der Konsequenzen, die passieren, wenn Hilfe nicht gewährt wird oder auch zu lange hinausgezögert wird.
- Rechtlicher Rahmen
Ich glaube, wir haben schon ganz gute Regelungen und Gesetze für Menschen mit Beeinträchtigung. Sicherlich ist immer Luft noch nach oben, doch im großen und ganzen können wir uns nicht beklagen, wenn sie auch eingehalten werden.
Und da haben wir den großen Knackpunkt: Wenn sich eingehalten werden!
Leider müssen wir Eltern all zu häufig für die Rechte unserer Kinder kämpfen.
Was brauchen Autist:innen?
- Sicherheit
- Klarheit
- Respekt
wie alle Menschen!
Keine Mitleidspädagogik sondern echte Teilhabe und die Möglichkeit sie selbst zu sein.
Wie kann man unterstützen?
Magst du noch etwas ergänzen? Ich freue mich über deine Anregungen und Erlebnisse.
Herzlichst, deine